Wunder einer Winternacht by Leino Marko

Wunder einer Winternacht by Leino Marko

Autor:Leino, Marko [Leino, Marko]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Belletristik/Gegenwartsliteratur (ab 1945)
Herausgeber: Rowohlt E-Book
veröffentlicht: 2015-05-22T16:00:00+00:00


Der Zeit wuchsen Flügel, und eine Jahreszeit nach der anderen flog vorbei. Auf die farbgesättigten nördlichen Herbste folgten strahlend weiße, schneereiche Winter. Bald wich der Schnee dem aufkeimenden Grün, und bald kam wieder ein Sommer, die Zeit der nachtlosen Nächte, in denen die Sonne es nicht über sich brachte, schlafen zu gehen, sondern Tag und Nacht die dunkelgrün leuchtende Natur bewunderte. Und dann wieder verfärbte sich das Laub, der erste Schnee fiel, und die winterliche Dunkelheit setzte ein.

Der Kreislauf der Natur war so selbstverständlich, und Nikolas vergaß fast, dass sich zwar alles immer gleich wiederholte, dass die Zeit aber dennoch kein Kreis war, den man endlos abschreiten konnte, ohne je müde zu werden. Die Zeit schritt voran. Und so wie jedes Jahr, das vergeht, einen Ring in den Stamm eines Baumes zeichnet, so zeichnet die Zeit auch das Gemüt eines Menschen.

Nikolas hatte längst aufgehört zu zählen, wie viele Weihnachten er schon bei Iisakki verbracht hatte. Es war nicht mehr nötig, denn er hatte bei Iisakki das Zuhause gefunden, in dem er sein ganzes Leben zubringen würde. Er wollte nirgendwo anders sein, und die Zeit verging, ohne dass er darüber nachdachte.

Die glücklichen Jahre, die an ihm vorbeizogen, erschienen Nikolas immer gleich, und der Höhepunkt jedes Jahres war für ihn die Weihnachtszeit. Vor Weihnachten hatten Iisakki und er immer viel zu tun. Vom frühen Morgen bis in die Nacht bastelten sie in der Höhlenwerkstatt Geschenke. Und wenn in Korvajoki irgendwer in der Weihnachtsnacht wach war, konnte er mit etwas Glück zwei mit Geschenken beladene Gestalten sehen, die von Haus zu Haus, von Tür zu Tür huschten, während Hilma, eine Pferdedecke über dem Rücken, auf der Dorfstraße wartete. Für Nikolas und seinen Freund war es zur lieben Tradition geworden, in der Weihnachtsnacht gemeinsam die Geschenke zu verteilen.

Von Jahr zu Jahr nahmen die Weihnachtsvorbereitungen mehr Zeit in Anspruch. Jedes Jahr mussten mehr Geschenke angefertigt werden, denn das Dorf Korvajoki wurde immer größer, und es schien immer mehr Kinder zu geben. Doch Nikolas dachte nicht darüber nach.

Selbst als seine Freunde aus den Kindertagen heirateten und Kinder bekamen, merkte Nikolas nicht, dass die Zeit verging. Auch Eemeli war bereits verheiratet, aber er und seine Frau hatten noch keine Kinder. Nikolas dagegen lebte gewissermaßen außerhalb der Zeit. Vielleicht bewusst, vielleicht unbewusst, vielleicht war dies seine Zuflucht, sein Schutzschild gegen die Wirklichkeit, wer weiß. Der menschliche Geist nimmt die Dinge so wahr, wie es ihm am besten passt.



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